Durch den Trubel der Menge schritt eine junge Schönheit,
kaum noch Mädchen und doch nicht Frau, aber beides zugleich. Unschuld schmückte
ihr schneeweißes Gesicht, unterstrichen von kindlicher Naivität, die sich in ihren
großen, braunen Augen spiegelte, die das Treiben der Leute mit Neugier und
Spannung verfolgten. Sie war vor wenigen Minuten erst aus ihrem Flieger
gestiegen, der von Frankfurt in den Süden flog, wo der Airport Vienna das Ziel der
Reise gewesen ist. Sie war geflüchtet aus ihrem Alltag, aus dem unglücklichen
Landleben, das sich in einer tristen Gemeinde mittlerer Größe abgespielt hatte.
Der immerwährende Rhythmus alter Traditionen, das graue Verhaltensmuster der
Einwohner, das so eintönig war wie das Grün der weiten Weiden konnten ihre
jungen Erwartungen nicht länger ausreizen. Keine Abscheu oder Ekel hatte sie
vertrieben – sie war im Frieden gegangen. Die Sehnsucht nach Abenteuer, neuen
Gesichtern und aufregenden Geschichten zog sie in diese Stadt, die
vielversprechend lockte. Sie ging an dem Touristenkiosk vorbei und staunte über
die vielen Menschen. Menschen aus aller Welt, vom Norden und vom Süden, Westen
und Osten – von überall kamen sie nach Wien, um das Herz Europas in seiner
ganzen Pracht zu bestaunen. An den futuristisch angehauchten Informationstafeln
befand sich das Wort Exit in
strahlend grünen Buchstaben. Ein Pfeil zeigte nach links, wo der Strom der
Menge sie einsog. Beim Ausgang vorbei atmete sie tief ein. Saubere, kühle
Morgenluft füllte ihre Lungen. Ihre Augen streiften den hellblauen
Horizont. Der Morgen ließ einen schönen
Tag vermuten, und so ging sie weiter in Richtung der Busse, die sie zum
Westbahnhof bringen würden. Die Geräuschkulisse war eine komplett andere als in der
Halle zuvor. Keine kreischenden Kinder, keine durcheinanderrufenden Touristen
in verschiedensten Sprachen waren zu hören. Die Motoren der Autos brummten, die
kleinen, harten Plastikräder der Koffer prallten auf den Asphalt und knallten,
quietschten, kratzten. Aufbruchsstimmung stieg in den Gesichtern der Fremden,
deren Fremde sie untereinander verband. Einige Kinder waren dann in der Menge
doch zu sehen, sie schienen aus Indien zu kommen, was die Aufmerksamkeit der
jungen Frau auf sich zog. Sie konnte sich nicht erinnern jemals indische Kultur so
nah erlebt zu haben. Interessiert und voller Spannung verfolgten ihre schönen
Augen die drei Kinder, deren zwei Burschen große, graue Turbane auf
ihren Köpfen trugen. Das Mädchen, sie schätzte es auf etwa fünf oder sechs
Jahre, trug einen langen, bunten Rock. Ein durcheinandergewirbeltes Muster aus
Grün, Gelb und Rot vermischten sich zu einem lachenden Wirbel. Große,
vergoldete Kreolen verzierten ihr Gesicht, das ebenmäßig und hübsch war. Ohne
Vorwarnung wurde sie plötzlich angerempelt und flog samt Rucksack auf den
kalten Asphaltboden. Ein junger Mann, in ihrem Alter, verzog halbherzig seinen
Mund zu einer scheinbar mitleidigen Mimik. Er zögerte eine halbe Sekunde, bis
er sich zu ihr drehte und seinen Arm zur Hilfe ausstreckte. Erst als sie
aufgestanden war, blickte sie in sein Gesicht. Seine Haare waren zu einem
lockeren Scheitel frisiert, seine Augen strahlten ihr in hellem Blau entgegen.
Er war nicht, was man einen Schönling nannte, aber doch brannte etwas in ihm,
etwas geheimnisvolles, etwas, das nach ihrer Entdeckung rief. Bevor sie sich
bedanken konnte, war der junge Herr in Sakko und Schnürschuhen verschwunden. Die
ganze, lange Fahrt dachte sie an diese flüchtige Begegnung.
Eine schöne und liebevolle Geschichte über "Jemanden" der auszog, das Leben kennen zu lernen.
AntwortenLöschenGruß Ede