Freitag, 20. Februar 2015

Am Flughafen

Durch den Trubel der Menge schritt eine junge Schönheit, kaum noch Mädchen und doch nicht Frau, aber beides zugleich. Unschuld schmückte ihr schneeweißes Gesicht, unterstrichen von kindlicher Naivität, die sich in ihren großen, braunen Augen spiegelte, die das Treiben der Leute mit Neugier und Spannung verfolgten. Sie war vor wenigen Minuten erst aus ihrem Flieger gestiegen, der von Frankfurt in den Süden flog, wo der Airport Vienna das Ziel der Reise gewesen ist. Sie war geflüchtet aus ihrem Alltag, aus dem unglücklichen Landleben, das sich in einer tristen Gemeinde mittlerer Größe abgespielt hatte. Der immerwährende Rhythmus alter Traditionen, das graue Verhaltensmuster der Einwohner, das so eintönig war wie das Grün der weiten Weiden konnten ihre jungen Erwartungen nicht länger ausreizen. Keine Abscheu oder Ekel hatte sie vertrieben – sie war im Frieden gegangen. Die Sehnsucht nach Abenteuer, neuen Gesichtern und aufregenden Geschichten zog sie in diese Stadt, die vielversprechend lockte. Sie ging an dem Touristenkiosk vorbei und staunte über die vielen Menschen. Menschen aus aller Welt, vom Norden und vom Süden, Westen und Osten – von überall kamen sie nach Wien, um das Herz Europas in seiner ganzen Pracht zu bestaunen. An den futuristisch angehauchten Informationstafeln befand sich das Wort Exit in strahlend grünen Buchstaben. Ein Pfeil zeigte nach links, wo der Strom der Menge sie einsog. Beim Ausgang vorbei atmete sie tief ein. Saubere, kühle Morgenluft füllte ihre Lungen. Ihre Augen streiften den hellblauen Horizont.  Der Morgen ließ einen schönen Tag vermuten, und so ging sie weiter in Richtung der Busse, die sie zum Westbahnhof bringen würden. Die Geräuschkulisse war eine komplett andere als in der Halle zuvor. Keine kreischenden Kinder, keine durcheinanderrufenden Touristen in verschiedensten Sprachen waren zu hören. Die Motoren der Autos brummten, die kleinen, harten Plastikräder der Koffer prallten auf den Asphalt und knallten, quietschten, kratzten. Aufbruchsstimmung stieg in den Gesichtern der Fremden, deren Fremde sie untereinander verband. Einige Kinder waren dann in der Menge doch zu sehen, sie schienen aus Indien zu kommen, was die Aufmerksamkeit der jungen Frau auf sich zog. Sie konnte sich nicht erinnern jemals indische Kultur so nah erlebt zu haben. Interessiert und voller Spannung verfolgten ihre schönen Augen die drei Kinder, deren zwei Burschen große, graue Turbane auf ihren Köpfen trugen. Das Mädchen, sie schätzte es auf etwa fünf oder sechs Jahre, trug einen langen, bunten Rock. Ein durcheinandergewirbeltes Muster aus Grün, Gelb und Rot vermischten sich zu einem lachenden Wirbel. Große, vergoldete Kreolen verzierten ihr Gesicht, das ebenmäßig und hübsch war. Ohne Vorwarnung wurde sie plötzlich angerempelt und flog samt Rucksack auf den kalten Asphaltboden. Ein junger Mann, in ihrem Alter, verzog halbherzig seinen Mund zu einer scheinbar mitleidigen Mimik. Er zögerte eine halbe Sekunde, bis er sich zu ihr drehte und seinen Arm zur Hilfe ausstreckte. Erst als sie aufgestanden war, blickte sie in sein Gesicht. Seine Haare waren zu einem lockeren Scheitel frisiert, seine Augen strahlten ihr in hellem Blau entgegen. Er war nicht, was man einen Schönling nannte, aber doch brannte etwas in ihm, etwas geheimnisvolles, etwas, das nach ihrer Entdeckung rief. Bevor sie sich bedanken konnte, war der junge Herr in Sakko und Schnürschuhen verschwunden. Die ganze, lange Fahrt dachte sie an diese flüchtige Begegnung.

1 Kommentar:

  1. Eine schöne und liebevolle Geschichte über "Jemanden" der auszog, das Leben kennen zu lernen.
    Gruß Ede

    AntwortenLöschen