"Gefällt dir,
nicht wahr?", sagte die Frau mit einem breiten Grinsen. Sie sah Jakob mit
großer Entzückung zu, der sich in diesem Moment erst dem fehlenden Geld bewusst
wurde, das diese Uhr kosten würde. Er zuckte etwas zurück und sagte mit unbeholfener,
beinahe unterwürfiger Stimme: "Verzeihen Sie mir vielmals, gute Frau, aber
dieses Stück kann ich mir sicherlich nicht leisten." Das breite Lächeln
der Frau veränderte sich nicht als sie Jakob tief in die Augen sah und
schließlich sagte: "Ich schenke sie dir. Bin mir sicher, dass mein Bruder
sie für jemanden wie dich aufgehoben hat. So einiges Abenteuer wirst du mit dem
alten Stück erleben, mein Junge." Jakob wusste nicht recht, wie er seine
Freude zum Ausdruck bringen sollte, streckte der Alten seine Hand entgegen und
bedankte sich in freudefüllender Rede. Nachdem sie ihm noch einmal das Beste
gewunschen hatte und sagte, er solle mit dem Geschenk vorsichtig umgehen,
bejahte er ihre Anweisung und begab sich auf den Heimweg.
Gute Laune führte
Jakobs Beine an und so melodisierten seine Stiefelabsätze fröhlich auf den
Backsteingassen. Die Sonne war bereits hinter die Dächer der wiener Altstadt
gewandert und warf nurmehr einen hellroten Schein über den Häuserhorizont. Zu
Hause angekommen warf Jakob seinen schwarzen Wollmantel auf den Tisch, zog
seine Schuhe im Gehen aus und landete nach einem gekonnten Sprung sicher und
sanft auf seiner Ledercouch. Pfeifend nahm er die Fernbedienung seiner
Musikanlage in die Hand und startete die Liederliste – Mozarts Violinkonzerte.
An der Wand hangen ziervoll umrahmte Kunstdrucke von Caravaggio und Poussin,
deren dunkle, kräftige Schattierungen das sonst spärlich eingerichtete Zimmer
mit Leben und Pulsierung füllten. Die schwarze Ledercouch, die Jakob von seinem
Vater beim Umzug in die Wohnung geschenkt bekam, war das einzig teure
Möbelstück in der gesamten Wohnung. Auf farbliche oder stilistische Harmonie
achtete Jakob nicht und schätzte sowohl den weißen Fernsehtisch, als auch den
kirschholzbraunen Kleiderkasten und den scharlachroten Schreibtisch. Sein
liebstes Stück jedoch war der Bücherschrank, der Jakobs größten Stolz
darstellte. Seit er das Lesen erlernt hatte, wurden allerlei Bücher von ihm
gesammelt, allem voran aber Geschichtsbücher. Wann immer Jakob Zeit fand,
stellte er sich vor das gefächerte Regal, wählte einen Band, setzte sich auf
die schwarze Ledercouch und schmöckerte bis er einschlief, was oft noch auf
dieser passierte. Dass er seine Musiksonaten in hohen Lautstärken genießen konnte,
verdankte er seinen schwerhörigen Nachbarn, die in ihm einen besonders reifen,
attraktiven, jungen Mann sahen, der sich für Kunst und Kultur und "all die
schönen Dinge im Leben" interessiere, wie es die Dame immer wieder sagte.
Jakob hielt die silberne
Taschenuhr in seiner Hand. Diese Gravierungen waren ein handgemachtes
Meisterwerk, das konnten selbst seine Laienaugen erkennen. Langsam öffnete er
die Uhr und strich über das kratzerfreie Glas. Es war keine Marke vermerkt,
auch kein Jahrgang oder ein anderes Indiz, das das Geheimnis dieser Uhr zu
lüften vermochte. Ein leises Quietschen war zu vernehmen, als er das Werk
aufzog. Mit jeder Umdrehung spürte Jakob einen etwas größeren Widerstand, bis
sich der Kopf gar nicht mehr drehen ließ. Kaum hatte er die Uhr beiseite
gelegt, überfiel ihn eine unaussprechliche Müdigkeit, die an seinen Gliedern zu
zerren begann, sich die Wirbelsäule hochschlang, schließlich seinen Kopf in
ihren Besitz nahm und ihm somit jeden Gedanken raubte. Obwohl sich Jakob
darüber bewusst war, dass diese Müdigkeit etwas Unnatürliches an sich hatte,
fiel es ihm immer schwerer, die Augen offen zu halten, so sehr, dass der Kampf
bald verloren war und er auf seiner weichen Couch zusammensackte. Während
Wolfgang Amadé Mozart die Violinen spielen ließ, fiel Jakob in einen tiefen,
unruhigen Schlaf.
Der Morgen wurde von tiefen Nebelschwaden begleitet. In den
engen Backsteingassen hallte das Knarren der Fiakerkutschen, deren Räder die
ausgestreuten Kieselsteinchen sprengten. Ein lauter Peitschenschlag, dessen
Knall die friedliche Morgenstille durchschnitt, fuhr durch Jakobs Ohren und
ließ ihn aufschrecken. Auf seiner Stirn zeichnete sich im Glanz seines
Schweißes das drückende Wetter der vergangenen Nacht ab. Jakob schnaufte kurz,
setzte sich auf und spürte, dass sein Gesäß auf einem harten Untergrund
landete. Als seine Hand auf eine hölzerne Bank griff, deren Oberfläche
abgenutzt und weichgeschliffen war, weiteten sich seine Augen, während er
seinen Mund weit aufriss. Wo war die Ledercouch verschwunden, wohin war die
gesamte Einrichtung von Jakobs Wohnung gewandert? Immer wieder wendete er sich,
im Kreis drehend, suchte er einen Sinn, denn das Zimmer war dasselbe, das
wusste er mit Sicherheit. Fassungslos bewegte er sich langsam zur kalkweißen Wand,
berührte sie mit allen Fingern. An genau jener Stelle befand sich am vorherigen
Abend noch Caravaggios Medusa Kunstdruck, dessen furchterfüllte Mine sich nun
in Jakobs Gesicht wiederspiegelte. Er befand sich in seinem leeren Zimmer, in
dessen Mitte einzig die hölzerne Bank stand, auf der Jakob aufwachte. Weder der
Schreibtisch, noch der Bücherschrank, auch nicht sein Einzelbett oder
Kleiderkasten standen im Raum. Erst jetzt bemerkte Jakob, dass er nicht einmal
mehr seine Kleidung vom gestrigen Tag anhatte – stattdessen fand er sich in
brauner Kordhose und weißem Hemd, über dem schwarze Hosenträger gespannt waren,
wieder. Der Kragen war steif und ungetragen, wie auch die Hose und die
schwarzen Lederschuhe. Jakob ging aus dem Zimmer und stand nun vor der Eingangstüre,
die viel älter aussah als noch am Tag zuvor. Im Badezimmer war keine
Duschkabine mehr und auch die Waschmaschine war verschwunden. In der Küche
befand sich kein Herd und keine Teller, ja nicht einmal der Kühlschrank stand
noch in der Ecke, wo er sonst immer stand. Verwirrt und kopfschüttelnd ging
Jakob zurück ins Zimmer und setzte sich auf die Holzbank. In sich
zusammengesackt saß er da, faltete die Hände zusammen und legte seinen glühend
heißen Kopf darin. Er holte tief Luft. Dann, als er die Augen nach einer kurzen
Weile wieder aufschlug, bemerkte er ein kleines, glitzerndes Stück Silber unter
seinem Fenstersims. Jakob stand auf, eilte zum Fenster und hob die kleine
Taschenuhr auf. Sie tickte nicht mehr. Als er auf das Ziffernblatt sah, bemerkte
er, dass die Uhr um 5:41 stehengeblieben war. Hastig steckte er die Uhr ein und
verließ seine Wohnung.
Tolle Geschichte, die natürlich nach Fortsetzung schreit (hoffe ich doch)
AntwortenLöschenWirklich toll, Unterhaltung pur, steigende Spannung und ein Ende, wie bereits erwähnt, eine Fortsetzung erwartet wird.
Vielen Dank, LG Ede