Bürger! Wie kannst du klagen? Wie kannst du es wagen, deinen
Mund zum Protest zu öffnen, um deinem Groll Gehör zu verschaffen, der sich in
Undank und Faulheit suhlt? Denke an die Generation unserer Eltern, hat sie
nicht alles getan, um uns eine bessere Welt zu hinterlassen? Was hat die Elternseltern
Generation gemacht? War sie nicht still und hat ihr Schicksal hingenommen, wie
es kam? Es kam voll Hass und Tod und Trauer und Verlust. Hat sie das Land nicht
aufgebaut, hat sie die Wirtschaft nicht angekurbelt? Ihr Leben war hart und
voll von Sorge, Verzweiflung und Trauer um den kommenden Tag. Aber du,
Erdenbürger, willst dein Haupt erheben, zwischen deiner Verschwendung und
deiner Arroganz, willst auf den Boden spucken, den Boden, der als Fundament
unserer heutigen Welt dient? Eine Welle von Scham und Selbsthass soll dich
überrollen im Augenblick, in dem deine Selbstsucht dich erdrosselt.
Wir leben in einer futuristisch angehauchten Welt. Wer vor 80
Jahren durch die Stadt der ehemaligen Habsburgermonarchie spazierte, der würde
an der gleichen Stelle heute Aug‘ und Ohr verlieren. Wo einst Kutschen auf den
Backsteinstraßen knirschten, brummen heute Mercedes und BMW über den Wiener
Ring. Protzige Hotelanlagen, deren Namen an die alten Zeiten erinnern sollen,
laden zum teuren Absteigen ein. Der Luxus wurde neu entdeckt, er wurde
aufgezogen und ist nun groß geworden, größer als wir es je waren. Niemand muss
heute mehr hungern in unseren Ländern. Europa hat zusammengefunden. Wo einst
Hasstiraden gesungen wurden, finden sich Afrika-Workshops und Zelte zum
Origamischwan falten. Ziel erreicht? Nur scheinbar. Denn in Wirklichkeit sind
wir weiter davon entfernt als je zuvor. Warum, fragt sich der Bürger von heute.
Wir haben doch alles was wir wollen, leben im Überfluss, jeder kann in einem
Haus leben, na fast jeder. Wer konnte damals schon ein Haus mit Swimming Pool
und Garten und Zwergen und Rutsche und Hollywood Schaukel haben? Natürlich, nur
die oberen Zehntausend leisteten sich einen solchen Luxus. Aber braucht man
einen Garten mit einem Haus darauf? Sind die Gartenzwerge tatsächlich
notwendig, um ein sinnerfülltes Leben zu führen? Da ruft der neue Bürger „Das
ist mein Recht!“. Wohl wahr, dein Recht zu tun was du willst. Aber willst du
denn tatsächlich dein Leben mit solchem Unfug füllen? Die Selbstbestimmung
scheint an den meisten Leuten zu scheitern – oder ist es umgekehrt?
Luxus ist ein wunderbares Wort – vor allem wenn wir seiner Bedeutung
nachgehen. Da müssen wir nicht lange suchen: Luxus ist lateinisch und bedeutet
Verschwendung. Da fällt die Maskerade des vermeintlich edlen Wortes! Wer möchte
schon verschwenderisch sein? Doch genau das ist der Lebensstil, den die heutige
Gesellschaft für sich anstrebt. Problematisch wird die Frage, wie eine
Gesellschaft, bestehend aus unzähligen Individuen, monoton luxuriös leben
könnte? Nein, das ging schon damals nicht, denn wer ein Buch in die Hand nimmt
und in den Zeilen der alten Zeiten nachliest, wird finden, wovon ich spreche: Die
antike Oberschicht, die Aristokratie. Diese Gesellschaft, ein stets
eingekesselter, isolierter Teil der eigentlichen, lebte von den Mühen und auf
Kosten der Bauern, Knechte, Arbeiter, Kaufmänner und Leibeigenen. Der Hof des
Kaisers blühte prunkvoll auf, wenn die Ernte im Herbst verkauft und die Steuer
vom Adel eingezogen war. Die Könige und Fürsten sind heute verschwunden, mit
ihnen die missbrauchte Aristokratie und die Leibeigenschaft. Dennoch leben wir
heute unter ähnlichen Umständen, wenn auch den Umständen entsprechend in
anderer Quantität. Die heutigen Fürsten sind selten mehr geadelt, meist ist ihr
Hof ein privates Gut. Sie leben abgeschieden von der Welt in ihrer eigenen, mit
Personal und Golfplatz, eigentlich doch ganz dem alten Muster entsprechend.
Dass der Mensch nichts dagegen unternehmen mag und von einer Ungerechtigkeit in
die nächste schlittert, das mag wohl an seinem Egoismus liegen, der von unten
nach oben verteilt. Wo sich dann einige Egoisten zusammenschließen, da entsteht
eine Lobby, eine Gemeinschaft der Einzelnen, die alle ihrem eigenen,
subjektiven Wohl nacheifern.
Das Jammerdasein seiner eigenen Unterdrückung wusste der Bürger
von damals wie der heutig moderne ganz einfach zu verdrängen: Mit Brot und
Spielen – zur Verfügung gestellt von der herrschenden Klasse, die sich damals
wie heute eine Menge Geld, Leben und Mühe damit ersparte. Waren es in früheren
Jahrtausenden blutige Kämpfe, die dazu nötig waren den niederen Instinkten des
Kleinbürgertums zu gefallen, hat sich die Unterhaltungsindustrie einen neuen
Streich erlaubt: Unterschichtsfernsehen. Die allbekannten Sender mit ihren
„scripted reality shows“ bringen den Bürger von heute praktisch kostenlos auf
seine Kosten. Das Brot liefern Fast-Food-Ketten billig und fettig, wie es der Gaumen
der Unteren bevorzugt. Während sie also
gemütlich vor den Wohnzimmeraltären ihre neuen Götter anbeten, fressen sie
Hormone und Giftstoffe aller Art und Konsistenz in sich hinein, um sich Tags
darauf in der Arbeit über den Trott des Lebens zu beschweren. Die klebrige
Ironie, die diese Gesellschaft zusammenhält, ist komplizierter als je zuvor.
Jawohl, diese Welt ist kein Deut besser geworden, als man Demokratien ausrief,
Sklaverei verbat, Leibeigenschaft abschuf und Diktaturen zerschlug – das Ungleichgewicht
hat sich nur verlagert, nie wurde es tatsächlich bekämpft, geschweige denn
besiegt.
Schon immer hat der Mensch versucht, einen Schuldigen für
sein eigenes Übel zu suchen – nie jedoch hat er sich selbst getadelt. Stets
waren es die anderen: mal die Adeligen, mal die Kaufleute, mal die Kommunisten,
mal die Juden. Die Schuld scheint so vielfältig wie die Beschuldigten, nie
jedoch nimmt sie die Gestalt der Realität an. Eine Schande für ein solch edles
Geschöpf wie dem Menschen, einzigartig auf diesem Planeten. Der Mensch hatte
den Fortschritt nur im Kollektiv bestritten. In der Gruppe war der Mensch immer
stark. Ohne Zusammenschluss wäre der Mensch in der ostafrikanischen Savanne
verreckt. In Gruppen wurde der Mensch auch gehalten, als er versklavt und
verkauft wurde, denn die Kraft eines Einzelnen vermag nichts zu verändern. Die
Pyramiden wurden von hunderttausenden Menschen gebaut, deren Stärke in ihrer
Zahl lag. Hätte die Masse ihre Kraft für das eigene Wohlergehen eingesetzt, so
wäre es anfangs eine Revolution, dann ein Aufstand, später aber eine Demokratie
geworden. Ihre Kraft wurde ausgenutzt,
um der Geltung eines einzigen Pharaos zu dienen, ihm die Ewigkeit zu schenken.
Das Prinzip widerspricht dem evolutionären Gedanken der Selektion. Aber dazu
ein andermal.
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