Es war ein edler
Altbau in dem er wohnte, mitten im Herzen der Stadt. Sie öffnete die große,
weiße Flügeltür und fand sich in einer Wohnung, die mit ihrem prächtigsten Traum
nicht mithalten konnte. Der Vorraum war ausgeschmückt mit Portraits von
Caravaggio, seinem absoluten Lieblingskünstler, wie er ihr als Erklärung
gestand. Sie ging auf dunkelbraunem, feinst geschliffenen Parkettboden, der
sanft und leise knarrte und jeden ihrer Schritte einladend begrüßte. Er führte
sie in sein Schlafzimmer, das größer war als das Wohnzimmer ihres Elternhauses.
Sanfte Küsse spürte sie an ihrem Hals, zarte Hände berührten ihre Taille. Sie
fand keinen Grund sich zu wehren, keine Ausrede für eine Flucht, denn er war
ihr vertraut und nahe wie kein Mann zuvor. So gab sie sich ihm hin, dem Mann,
der ihr Herz erobert hatte, der an einem einzigen sonnigen Nachmittag
vollbrachte, was so viele vor ihm Monate und Jahre vergebens versucht hatten. Am
nächsten Morgen wurde sie von Sonnenstrahlen geweckt, die sanft und warm auf
ihren roten Backen tänzelten. Sie fand sich blütenweißer Bettwäsche, auf einem
großen Bett in dem gigantischen Schlafzimmer. Als sie ihn nicht finden konnte,
durchwanderte sie die ganze Wohnung. Sie blickte in jede Ecke und hinter jede
Tür, doch sie fand nur leere Zimmer, lange Gänge und antike Einrichtungen. Ein
Gefühl der Unsicherheit durchbrach ihre innere Ruhe. Was war geschehen und wo
war der Mann, der ihr Herz in Windeseile erobert hatte? Sie wurde immer nervöser,
spürte ihre Hände zittern suchte nach ihm wie im Wahn aber konnte ihn nicht
finden. Angst durchfloss ihren Körper und so packte sie ihren Rucksack und
schritt durch das große Vorzimmer, vorbei an den Gemälden, vorbei an der
Flügeltür, hinaus ins Treppenhaus.
Als sie in
die enge Gasse heraustrat, überfiel sie ein Schwindelanfall. Sie musste sich an
der Kalkwand abstützen, um nicht auf die kalten, harten Backsteine zu fallen.
Sie atmete tief und schwer. Tränen fielen zu Boden und verfärbten die Steine in
dunkelblaue Quadrate. Lautes Schluchzen ertönte in der Gasse, es war ein
Schluchzen, das von Verzweiflung, von Hass und von Trauer sprach. Sie war
allein gelassen, von dem Mann, dem sie ihre Unschuld schenkte, unbedacht und
spontan, wie sie sonst nie gewesen war. Ihr Magen wurde schwer und wäre er
nicht leer gewesen, so hätte sie alles herausgebrochen. Nach Momenten der
Trauer und Einsamkeit verfiel die junge, zerbrochene Schönheit in Wut. Sie
stampfte die Gasse entlang, ging zum Stephansplatz, setzte sich auf die
Marmorbank, auf der sie gestern ihren Stolz und ihre Würde verloren hatte. Sie
saß, einsam und verlassen, einige Weile auf der Bank und beobachtete die
Touristen, die nach billigen Attraktionen Ausschau hielten. Das Geld, das sie
zusammengespart hatte würde für einige Tage reichen, also fuhr sie mit der
U-Bahn zurück zum Westbahnhof und mietete sich im billigsten Hotel der Stadt
ein kleines Zimmer. Hier war sie allein, hier war sie sicher vor Blicken und
Sprüchen, vor der Scham, die sie überkam wenn sie an die letzte Nacht dachte. Sie
zwang sich ein Sandwich zu essen und betrank sich am Abend mit billigem
Rotwein. Es dauerte nicht lange, bis sie vor dem flimmernden Fernseher
einschlief.
Die
Wohnungstür war nicht ins Schloss gefallen und stand einen Spalt breit offen.
Er stellte die Einkaufstasche auf den blanken Eichenholzboden und schloss hinter
sich ab. Er ahnte nichts, als er ins Schlafzimmer trat und das verlassene Bett
vorfand. Sie hätte es zwar ausschütteln und herrichten können, doch er würde
nicht Kritik an ihr üben. Im Supermarkt wurde ihm bewusst, wie viel er bereits
von ihr wusste –so hatte er den Schinken wieder zurückgelegt, da sie am
Vorabend über ihre fleischlose Ernährung erzählte – also entschloss er sich
dazu, ein Frühstücksei mit Käsebrot und Müsli zu servieren. Er begab sich in
die Küche und begann damit, die Eier zu kochen, das Müsli in die Schüsseln zu
streuen und die Brote zu schmieren. In Gedanken war er bereits bei ihr,
kuschelte sich an ihren schönen Körper und flüsterte ihr sanfte, liebevolle
Worte ins Ohr. Während er das Tablett mit tanzendem Schritt in das Schlafzimmer
brachte, erfreute er sich an der Vorstellung den ganzen Tag mit dieser
Schönheit verbringen zu werden. So machte er das Bett und wartete artig auf das
reizende Mädchen, das ihm seit der Begegnung nicht mehr aus dem Kopf gehen
wollte. Während er unruhig an der Bettwäsche zupfte, dachte er noch einmal an
den vorigen Tag nach. Ursprünglich wollte er seinen besten Freund am Flughafen
abholen, der von einem dreimonatigen Trip aus Brasilien zurückgekehrt war, doch
kurz vor dem Gate an dem er seinen Kumpanen erwarten sollte, machte er kehrt
und folgte ihr. Er verpasste ihren Bus um Haaresbreite. Verzweifelt hatte er
die Suche bereits aufgegeben und begab sich mit müdem Schritt nach Hause. Am
Stephansplatz jedoch erblickte er sie wieder, unübersehbar in der Menge
strahlte das Mädchen, das ihm alle Gedanken geraubt hatte. Ein Glück, dass er
sie gefunden hatte, dachte er sich nun mit zufriedenem Lächeln. Sie war schon
lange im Bad, also wollte er anklopfen, nach ihr fragen und einen schönen,
guten Morgen wünschen. Doch seine Worte blieben unbeantwortet. Als er die
Türklinke herunterdrückte, bemerkte er, dass auch das Bad leer war.
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