Der Linseneintopf
schmeckte nach Kokosfett und ranziger Butter. Ein Löffel rührte den kalten,
schlammigen Brei um, versuchte ihn zu einer appetitlicheren Masse zu formen –
erfolglos. Lukas saß auf der alten Couch mit zerrissenen Stoffüberzügen. An
manchen Stellen hielten nurmehr einzelne Fadenstränge das Geflecht der blauen
und roten Muster zusammen. „Heut schmeckt‘s besonders scheiße.“, sagte er mit
vollem Mund. Das Fett triefte ihm aus dem rechten Mundwinkel heraus und tropfte
auf seine hellblau ausgeblichene Jeans, hinterließ dicke, dunkle Flecken auf
seinem Hosenbein. Markus kam mit einer halbvollen Schüssel, setzte sich dazu,
schaltete die Glotze an und schwieg vor sich hin. Im Fernsehen lief Fußball.
Die beiden Brüder, gerade in die Zwanziger geschlittert, lebten in der
angemieteten Wohnung, versteckt im dunklen Innenhof einer Wohnanlage. Ein
Zimmer teilten sie sich, zusammen mit einer Toilette und einem Badezimmer, das
neben einem Waschbecken und einer Badenische räumlich nicht mehr erlaubte. Aber
nicht nur mit dem Platz mussten die beiden sparen – auch das Geld war knapp,
beide konnten lange keine Arbeit finden. Erst vor wenigen Wochen durfte Lukas,
der ältere der beiden Brüder, einen Aushilfsjob an einer Baustelle übernehmen.
Die Arbeit war hart und machte dem eins dreiundachtzig großen Kerl nicht
sonderlich glücklich – aber ein paar Hunderter mehr im Monat waren ein guter
Grund sechsmal die Woche das Bett vor Sonnenaufgang zu verlassen und erst spät
nach Sonnenuntergang wieder zurückzukehren.
4:45 Uhr. Der Wecker
läutete schrill und unbarmherzig, bis Lukas ihn mit schmerzerfüllter Miene
ausschaltete. Er blickte zu seinem jüngeren Bruder – er schlief tief und fest. Innerhalb einer Stunde
machte sich Lukas fertig und verließ das kleine Zimmer kurz vor Sonnenaufgang.
Die Straßen waren noch leer. Sein Körper fühlte sich unangenehm angespannt und
steif an, jeder Schritt war eine Qual. Lukas wollte diesen Job nicht mehr
übernehmen. Seine Kollegen behandelten ihn wie Dreck, sein Chef war ein fauler
Sack, der nicht mehr zustande brachte als alle anderen zu kommandieren und sein
Lohn wurde stark gekürzt – „Aufgrund fehlender praktischer Arbeitskenntnisse“,
wie sein Chef es nannte. Er wusste ganz genau, dass er den armen Jungen so
behandeln konnte, Herr Schachenger hatte ein gutes Gespür für junge Leute.
Besonders für diese Art, die Lukas vertrat. Solche Leute schmissen die Schule bevor sie 17 waren, rauchten
Gras bis sie 19 wurden und mit 20 werden sie von den Eltern auf die Straße
gesetzt – natürlich kamen sie zum Herrn Diplomingenieur um Arbeit zu bekommen
und Arbeit bekamen sie auch. In seinen Augen durfte sich Lukas keinen weiteren
Fehltritt erlauben, ganz klar, es gab genug andere, die seine Stelle gerne
annehmen würden – das Business kennt keine Emotionen und Kompromisse.
Lukas stand an der
Busstation. Er hatte den letzte vor zehn Minuten verpasst und so musste er
doppelt so lange auf den nächsten warten. Er setzte sich auf die kalte
Gittersitzfläche aus Metall. Die Stadt war tatsächlich am Schlafen, nur die
Vögel zwitscherten den ankommenden Tag willkommen. Lukas ließ seine Gedanken
schweifen – heute würde er sich nichts gefallen lassen. Niemand würde ihn heute
stoßen, ohne sich im Nachhinein bei ihm zu entschuldigen. Niemand könnte ihm
heute seine Pause streichen. Und niemand, schon gar nicht Herr Schachenger
könnte ihm heute weismachen, dass seine Arbeitskenntnisse unzureichend oder
fehlerhaft wären. Niemand, würde ihn heute rumschubsen.
Eine Menschengruppe kam
ihm entgegen. Es waren junge Leute, etwa in seinem Alter. Sie waren sichtlich
betrunken und scherzten und lachten laut. Als sie an ihm vorbeikam, blieb die
Gruppe stehen. Zwei Burschen bildeten die Spitze der Gruppe, in der sich noch
einige Kerle und ein Mädchen befanden. Einer der beiden deutete auf den jungen
Mann auf der kalten Gittersitzfläche. „Na sieh mal einer an.“, sagte der große
Kerl mit weinrotem Mantel. Er ging zu Lukas und blieb vor ihm stehen. Er sah
ihn an, bemerkte seinen offensichtlich luxuriösen Kleidungsstil, seine blonden,
zurückgekämmten Haare, die vor Brillantine trieften, seine Wildlederschuhe,
deren Spitzen künstlich aufgerieben wurden, und er wusste, dass dieser große,
schlanke Kerl zum anderen Teil der Bevölkerung gehörte. Der Kerl blieb vor ihm
stehen und sprach Lukas direkt an. „Wartest auf den Bus, hm? Musst arbeiten, so
früh?“ Das Mädchen kicherte hinter all den Burschen, die wild und unverschämt
um sie buhlten. Lukas sah ihn an, blickte hinter ihn und spürte den
verachtenden Blick der ganzen Gruppe in seinem Gesicht kleben. „Ja.“, sagte er.
Die Gruppe lachte laut auf. Das Gelächter wurde immer schriller, und klang
nicht ab. Die Situation war schon beinahe lächerlich, als sich die Leute
schließlich einkriegten und der blonde Typ
sich groß und breit machte. „Schön zu sehen, dass das Volk arbeitet.“, er
drehte sich mit seinem Oberkörper nun zu seinem Gefolge aus Studenten, „Dann
hat unser Kontrollgang ja gefruchtet.“ Lautes Gelächter. Lukas fühlte sich
allmählich unwohl. Er blickte nur mehr gerade aus, starrte auf die
Gehsteigkante, die wenige Meter vor ihm lag. „Na schau, jetzt ignoriert uns der
Bub. Komm, wir laden dich auf was ein – erzähl uns von deinem harten, schweren
Leben.“ Lukas stand auf. Er wollte sich nichts sagen lassen, schon gar nicht
von Leuten, die keinen Finger rühren mussten, um zu überleben. „Hör mal zu, du
reiches Stück Scheiße.“, zischte es aus seinen Lippen hervor. Der Blonde
verstummte und mit ihm die ganze Gruppe. Seine Miene verfinsterte sich. „Du
hast keine Ahnung vom Leben“, fuhr Lukas fort, „Bist stolz auf den Reichtum
deiner Eltern, rennst hier herum als wärst du der Fürst des Ortes.“
Schüchternes Gelächter machte sich in den Reihen der Unbeteiligten breit, starb
jedoch nach fehlender Reaktion des Rudelanführers. „Hast schon richtig gehört,
Arschloch. Sieh dich doch einmal an. Du lebst auf Kosten anderer, hast nicht
das Zeug etwas zu vollbringen und musst anderen Leuten mit deinem Reichtum
imponieren. Tatsächlich aber, und das wissen wir beide, hast du keine Leistung
vollbracht, die deinen Wohlstand rechtfertigt. Jetzt verpiss dich, bevor ich
dir mit meinen Bauarbeiterhänden Eine auflege.“ Sichtlich irritiert zwinkerte
der Kerl mehrere Male hintereinander – wie vom Blitz getroffen stand er
regungslos da. Der Lockenkopf hinter ihm nahm ihn am Arm und zog ihn weg. Der
Rest der Gruppe folgte ihm, nicht ohne Lukas einen verächtlichen Blick
zuzuwerfen.
Der Arbeitstag verlief
problemlos – Lukas setzte sich nicht nur durch, er bekam eine Beförderung vom
Ingenieur Schachenger. „Endlich können wir dich hier gebrauchen, Bursche.“,
sagte er. Doch er meinte das nicht böse. Es war eben seine Art, so mit dieser
Art umzugehen. Die Art, die Lukas vertrat.
Reicher Mann und armer Mann
standen da und sahn sich an.
und der Arme sagte bleich:
„Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“
Albert Brecht.
...shit..wie recht Du hast. ٩(̾●̮̮̃̾•̃̾)۶
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