Samstag, 31. Januar 2015

Es regnet

Es regnet. Dicke, schwere Tropfen fallen auf meinen Kopf und meine Schultern herab, zerplatzen und hinterlassen einen leisen Knall. Erst der Blitz – ein Donnerschlag folgt. Die engen Straßen sind leer, kein Auto fährt. Meine Beine treiben mich voran, ich folge ihnen verständnislos. Denn ich habe nichts verstanden, habe mein Leben verlebt, meine Nächte verschlafen und die Tage verträumt. Der Preis offenbarte sich in jenen hellen Momenten, ich denen ich die Klarheit, die nackte, kalte Klarheit über mein Leben erkannte. Erst waren es nur einsame Momente, wenn mein Blick die Leere suchte. Die Klarheit kam und mit ihr das grauenhafte Gefühl der Einsamkeit. Die Momente wurden mehr, sie wurden stärker, intensiver, schmerzhafter. Es ist der Tag gekommen, an dem ich kapitulierte.

Es regnet. Meine Socken sind nassgesogen. Jeder Schritt quetscht das Wasser aus ihnen, das mit dem darauf folgenden wieder eingesogen wird. Die Straßen sind allein - ich bin allein. Mein Blick streift in die weiten Gassen, findet keinen Anhaltspunkt, verliert sich in der Entfernung. Das Grau wird Schwarz, das Schwarz wird leer. Ich weine. Die Tränen werden vom Regen weggespült. Meine Schritte stecken im immergleichen Takt. Kein Gedanke dringt in meinem Kopf hervor. Kein Bild, keine Vorstellung, kein Wort kann diese verzweifelte Leere bekämpfen. Eine unbeschreibliche Übelkeit legt sich um meinen Magen. Ich habe das Gefühl mich übergeben zu müssen. Aber ich werde nicht langsamer, ich gehe weiter. Immer weiter, ahnungslos. Hoffnungslos.

Es gab einen Moment, da habe ich mich selbst verlassen. An diesem Tag packte ich gedanklich meine Koffer, schmiss mir selbst einen Mittelfinger entgegen und ging weg. Wohin ich ging, das weiß ich nicht. Ich suche mich. Nur weiß ich nicht, wo die Suche beginnen soll. Wo würde ich mich verstecken? Würde ich mich denn überhaupt vor mir selbst verstecken? Nein, ich hätte mich bekämpft. Ein Kampf auf Leben und Tod, bei dem ich gestorben wäre und ich hätte gewonnen. Auf der Suche nach mir – im Regen, in Gedanken, in Emotionen. Der Sinn meines Daseins scheint ein nichtiger zu sein – wurde er gestohlen oder nie geboren? Bin ich ohne Sinn geboren? Einfach nur auf die Welt gesetzt. Ist es meine Bestimmung, bestimmungslos zu bleiben? Meine Beine bleiben schnell  und ziellos.

Ein Mann kommt mir entgegen. Ich erkenne ihn erst, als er wenige Meter vor mir steht, der dichte Regen hatte seine Gestalt verhüllt. Sein Gesicht bleibt mir fremd. Der Regen wird stärker. Der Unbekannte spricht zu mir, aber ich verstehe ihn nicht. Er hat eine schwarze Kapuze über den Kopf gezogen, beinahe komplett zugeschnürt, sodass ich nur die Konturen seiner Nase erkenne. Ich höre seine Stimme, verstehe die Worte aber nicht. Er kommt näher. Nun rieche ich ihn, inmitten des Schauers, der uns umgibt. Er riecht alt, kalt. Er riecht nach meiner Kindheit, an den feuchten Keller meiner Großmutter, in dem ich in den Sommerferien die Äpfel eingelagert hatte. Nun ist er mir vertraut, ein immer da gewesener Bekannter, Freund, Bruder und Vater. Freude umgibt mich. Ob ich nach Hause will fragt mich der Mann. Ja, ich will.


Es regnet.

2 Kommentare:

  1. ... ich bin überwältigt ! Eine super tolle Erzählung über die Sinnlosigkeit und dem finden darin. Hoffnungslosigkeit, müde vom Leben auf der Suche nach dem eigenen Dasein. (wenn ich es denn richtig verstanden habe).
    Toll, ich bin begeistert.
    LG
    Ede

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